Corona-Proteste in Sachsen: Telegram-Gruppen und -Kanäle beschleunigen Radikalisierung
Die Amadeu Antonio Stiftung in Sachsen und das Else-Frenkel-Brunswik-Institut an der Universität Leipzig haben gemeinsam ein systematisches Online-Monitoring extrem rechter und antidemokratischer Aktivitäten im Freistaat Sachsen begonnen. Im ersten Bericht wird deutlich, wie extrem rechte Akteure vor allem den Dienst Telegram nutzen, um Themen zu setzen und zu radikalisieren.
Das Else-Frenkel-Brunswik-Institut (EFBI) an der Universität Leipzig und die Amadeu Antonio Stiftung (AAS) haben gemeinsam ein systematisches Monitoring extrem rechter und verschwörungsideologischer Akteure sowie Netzwerke in Sachsen begonnen. „Die Ereignisse der letzten Wochen und Monate unterstreichen die Aktualität und Notwendigkeit eines solchen Monitorings,“ sagt Dr. Johannes Kiess, stellvertretender Direktor des EFBI.
Es geht bei Corona nicht nur um Gesundheitsthemen
In der Pilotausgabe des EFBI Digital Reports stellen die Forscherinnen und Forscher ihre methodisch-konzeptionelle Herangehensweise und erste Ergebnisse vor. „Wir konnten zeigen, welche Gruppen, Personen sowie lokalen und landesweiten Netzwerke in Sachsen aktiv sind und welche Themen und Inhalte von diesen verbreitet werden,“ so Kiess. Dabei zeigt sich, dass extrem rechte Akteure wie beispielsweise die Kleinstpartei Freie Sachsen für die Verbreitung und Mobilisierung verschwörungsideologischer und antidemokratischer Inhalte in Sachsen eine Schlüsselrolle spielen. Deutlich wird in dem Bericht auch, dass es in vordergründig gegen die Corona-Maßnahmen agitierenden Gruppen oder Chats bei weitem nicht nur um Gesundheitsthemen geht. Extrem rechte und verschwörungsideologische Akteurinnen und Akteure setzen auf eine schrittweise Radikalisierung von Personen, die vordergründig durch das Pandemie-Thema in die Chats beziehungsweise Gruppen gelangt sind. Diese Radikalisierung mündet in Diktaturvergleiche, antisemitische Narrative und Kampagnen gegen demokratische Institutionen und Einzelpersonen.
Volksverhetzende Inhalte werden ohne Widerrede geteilt
Besorgniserregend ist die vor allem lokal vorgefundene enge Vernetzung und Organisation der Gruppen. Vor diesem Hintergrund verwundert es die Autorinnen und Autoren nicht, dass diese innerhalb kürzester Zeit Kampagnen, Aktionen oder Hass-Offensiven starten können, wie zum Beispiel der Fackel-Aufmarsch vor dem Haus der Staatsministerin Petra Köpping (SPD) oder das choreografische Tragen ähnlicher Banner und Symbole auf den verschiedenen Anti-Corona-Maßnahmen-Demos in unterschiedlichen Städten. „Sorge macht uns die Tatsache, dass in den Chats oder Gruppen Antisemitismus und andere Hass-Inhalte in der Regel ohne Widerspruch verbreitet werden, und zwar zum Teil auch von Menschen die ihren Klarnamen nutzen“, so Benjamin Winkler, Leiter des Projekts „debunk. Verschwörungstheoretischem Antisemitismus entgegentreten“ bei der Amadeu Antonio Stiftung in Sachsen. „Es scheint hier kaum ein Gefühl für illegitime oder auch illegale Äußerungen zu geben.“ Mit Blick auf einen vermuteten Zusammenhang zwischen der Form der Berichterstattung über die Coronaproteste in Sachsen und den zeitgleichen, sprunghaften Anstiegen der Abonnements des Freie Sachsen-Kanals stellt sich schließlich auch die Frage nach dem richtigen medialen Umgang mit dem Phänomen. Der Report stellt deshalb auch konkrete Handlungsoptionen vor. „Dazu gehört zum Beispiel der Opferschutz und Strategien der demokratischen Gegenwehr,“ erklärt Benjamin Winkler.
Die in der Pilotausgabe vorgestellten Ergebnisse sollen nur einen Auftakt darstellen für das weitere systematische Monitoring durch die Kooperation des EFBI und der AAS. „In Zukunft werden wir anhand weiterer Themen, Plattformen und Netzwerke untersuchen, wie sich Radikalisierung im Netz vollzieht und wie diese mit der Radikalisierung auf der Straße und des öffentlichen Diskurses zusammenhängt,“ sagt Dr. Johannes Kiess.
Über das EFBI
Das an der Universität Leipzig angesiedelte Else-Frenkel-Brunswik-Institut (EFBI) bildet eine Forschungsinfrastruktur in Sachsen, die demokratiefeindliche Einstellungen, Strukturen und Bestrebungen erforscht und dokumentiert. Im Vordergrund stehen dabei verschiedene Formen der Diskriminierung, die Strategien und Dynamiken rechts-autoritär motivierter Bündnisse und die Stärkung demokratischer Politik.
Pressekontakt
Pia Siemer
Referentin für Wissenschaftskommunikation
Strohsackpassage
Nikolaistr. 6-10
04109 Leipzig
Tel.: 0341/ 97-37892
E-Mail: pia.siemer@uni-leipzig.de