Demokratie in Sachsen 2022 - Zweites EFBI Jahrbuch erschienen!
Zweites EFBI Jahrbuch erschienen!
Antidemokratische Kräfte haben in Sachsen einen hohen Organisierungsgrad. In 15 Beiträgen widmen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Akteure aus der Zivilgesellschaft auf unterschiedliche Weise dem Thema des demokratischen Zusammenhaltes und antidemokratischer Strukturen.
Seit Beginn der Covid-19-Pandemie lässt sich die Fragmentierung antidemokratischer Kräfte in Sachsen beobachten. Im Freistaat gibt es eine Vielzahl von Akteuren, die eine heterogene, rechte Mischszene bilden. Unterschiedliche rechte Kräfte beteiligten sich an den Protesten gegen die Corona- sowie die Energiepolitik. Bei den Kommunal- und Bürgermeisterwahlen im Sommer 2022 konnten Kandidaten der extrem rechten Kleinstpartei „Freie Sachsen“ teils beachtliche Ergebnisse einfahren. Gleichzeitig schaffen Neonazis in Sachsen rechte Erlebniswelten bei Rechtsrockkonzerten und Kampfsport-Events.
Das Else-Frenkel-Brunswik-Instituts (EFBI) hat das Ziel, über demokratiefeindliche Bestrebungen in Sachsen zu informieren. In 15 Beiträgen vereint das zweite Jahrbuch des Instituts an der Universität Leipzig Analysen und Befunde zum Zustand der Demokratie in Sachsen. Neben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Instituts haben auch Autorinnen und Autoren aus der sächsischen Zivilgesellschaft mitgeschrieben. Die Auswahl sozialwissenschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Beiträge bietet vielschichtige Perspektiven auf die politische Situation im Freistaat.
"Antisemitismus ein großes Problem in Sachsen"
Zum vierten Mal hat die Landesregierung den Sachsen-Monitor in Auftrag gegeben. Im Winter 2021/2022 wurden hierfür 2000 in Sachsen lebende Personen repräsentativ ausgewählt und befragt. Im aktuellen EFBI-Jahrbuch stellen Marius Dilling, Johannes Kiess und Oliver Decker die Daten im Langzeitverlauf vorgestellt und ausgewertet: „Uns fällt wiederholt die sehr hohe Zustimmung zu extrem rechten Aussagen in Sachsen auf“, berichtet EFBI-Direktor Professor Oliver Decker, „63% wünschen sich eine ‚starke Hand‘, 36% eine ‚starke Partei‘“. Dabei findet sich zu einzelnen Aussagen in bestimmten sächsischen Kreisen eine besonders hohe Bereitschaft zur Zustimmung: „Der Erzgebirgskreis, der Landkreis Leipziger Land und der Landkreis Bautzen stechen besonders hervor“, so Decker. Die Ausländerfeindlichkeit mit bis zu 55% Zustimmung sei massiv ausgeprägt. Erschreckend sei für ihn aber auch der ausgeprägte Antisemitismus: „37% der Befragten im Erzgebirge stimmen offen Ressentiments gegen Juden zu“, sagt Decker. Das sei nicht zu akzeptieren und eine deutliche Herausforderung an Politik und Zivilgesellschaft: „Hier muss reagiert werden.“
„Zunehmende Mobilisierung durch Neonazis und Reichsbürgerszene“
Diese Eindrücke werden vertieft durch das Lagebild, welches vom EFBI für das Jahr 2022 in Kooperation mit dem Demokratie-Zentrum im Sächsischen Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt erhoben wurde. Hierfür wurden 24 „Partnerschaften für Demokratie“, Einrichtungen der Kommunen und Landkreise, sowie 14 demokratiepädagogische Modellprojekte zu ihrer Wahrnehmung der politischen Situation und antidemokratischer Mobilisierung befragt. „Es kam im Vergleich zu 2021 zu einem massiven Anstieg der Mobilisierung durch extrem rechte und neonazistische Bewegungen in Sachsen“, stellt Doktor Johannes Kiess heraus, einer der beiden stellvertretenden Direktoren des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts. „Die Mobilisierung der Freien Sachsen, der Reichsbürgerszene und der NPD hat sich nahezu verdoppelt“, so Kiess. Im Gegensatz dazu berichten die Befragten nicht von demokratiebedrohenden Aktivitäten von Links, so der Befund der zusammen mit den EFBI-Mitarbeiterinnen Sophie Bose und Amelie Feuerer verfassten Auswertung.
Weitere Berichte im EFBI-Jahrbuch für 2022
- Der stellvertretende EFBI-Direktor Dr. Johannes Kiess gibt in seinem Beitrag einen Überblick über die vier relevantesten extrem rechten Parteien in Sachsen, ihre Aktivitäten und ihre Beziehungen untereinander. Dabei wird deutlich, dass die Alternative für Deutschland (AfD) an Mitgliedern und Bedeutung durch ihre multiplen inneren Krisen verloren hat, während beispielsweise die Freien Sachsen große Anschlussfähigkeit in verschiedene Milieus aufweisen.
- Mitte Dezember 2022 verhalf die CDU einem Antrag der AfD im Bautzener Kreistag zu einer Mehrheit. Der Politikwissenschaftler Steven Hummel hat recherchiert, dass in mindestens 21 weiteren Fällen in Sachsen Mitglieder anderer Parteien auf kommunaler Ebene gemeinsam mit der AfD abgestimmt haben, obwohl die Parteilinie aller demokratischen Parteien eigentlich eine Kooperation untersagt.
- Rechtsrockkonzerte sind in Sachsen Teil rechter Erlebniswelten seit den 1990er Jahren. Am Beispiel Staupitz, einem der bekanntesten Konzertstandorte auch für Bands mit nachgewiesenen Verbindungen zum Nationalsozialistischen Untergrund (NSU), geht Michael Nattke vom Kulturbüro Sachsen auf die Kollaboration zwischen Polizei, Verfassungsschutz und der Rechtsrockszene in Sachsen ein.
- Alina Gündel und Eric Heffenträger von Agenda Alternativ e.V. gehen auf kommunale Strukturen ein, die zivilgesellschaftliche Demokratiearbeit verhindern. Um nicht öffentlich mit den extremen Rechten zu kooperieren, pocht die kommunale Verwaltung von Schwarzenberg im sächsischen Erzgebirgskreis bei öffentlichen Veranstaltungen auf politische Neutralität. Dies verhindert allerdings auch demokratisches Engagement.
- Antifeministische Einstellungen und Anfeindungen gegenüber selbstbestimmten Lebensentwürfen sind im Erzgebirge keine Ausnahme. Charlotte Höcker, Tabea Falk, Johanna Niendorf und Henriette Rodemerk, EFBI-Mitarbeiterinnen, analysieren in ihrem Beitrag, inwiefern Traditionsbewusstsein ein Nährboden für antifeministische und autoritäre Einstellungen darstellt.
Die Beiträge des Jahrbuches 2022 werden künstlerisch von der Leipziger Fotografin Sandra Schubert mit Fotografien aus Sachsen gerahmt. Im Interview „Kunst kann Fragen stellen“ gibt sie zudem Einblicke in ihre Arbeit sowie die Verbindung zwischen ihrer Fotoserie und den wissenschaftlichen Texten des Jahrbuches.
Das Buch erscheint im Verlag Überland und kann bei diesem bestellt werden. Wir stellen das Buch in PDF-Form als Open Access-Datei zur Verfügung.