"Es gibt ein Klima des Wegschauens"
Im Interview spricht Johannes Grunert, Autor des vierten EFBI-Policy Papiers zu rechten Strukturen in Zwickau, darüber, warum die rechte Szene in Zwickau günstige Bedingungen für ihre Aktionen vorfindet.
Johannes Grunert ist Freier Journalist und Fotograf aus Chemnitz mit den Schwerpunkten soziale Bewegungen und Neonazismus. Für das Else-Frenkel-Brunswik-Institut hat er bisher zwei Policy Paper geschrieben - über rechte Strukturen in Chemnitz und über rechte Strukturen in Zwickau.
Im Interview spricht er über die gesellschaftliche Akzeptanz für Neonazis in Zwickau und erklärt, wie das Handeln des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) bis heute nachwirkt.
EFBI: Warum sind die Bedingungen für rechte Strukturen in Zwickau so günstig?
Grunert: Das ist ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren und des gesellschaftlichen Klimas vor Ort. Das sieht man auch an den Wahlergebnissen der AfD, die trotz interner Streitigkeiten fest verankert ist und eine stabile Basis hat. Betroffene haben mir auch berichtet, dass es ein Klima des Wegschauens gibt, was damit zusammenhängt, dass die gesellschaftliche Akzeptanz für extrem Rechte und Neonazis relativ groß ist. So verfügen sie über unpolitische Räume, wie zum Beispiels Hotels, Gaststätten und Clubs. Dort finden immer wieder extrem rechte oder rechtsoffene Events statt. Dadurch gibt es für die rechte Szene nicht die Notwendigkeit, eigene Räume zu schaffen, obwohl sie die teilweise auch haben. Ihr offenes Auftreten ist ein Beleg dafür, dass die Akzeptanz da ist. Insgesamt sind es wenige Akteure, die vor Ort besonders aktiv sind und gezielte Nachwuchsarbeit leisten. So nehmen sie Leute mit. Außerdem erfahren sie nur wenige strafrechtliche Konsequenzen für ihr Tun. Hinzu kommt, dass Zwickau, ähnlich wie Chemnitz, einen gewissen Ruf in der rechten Szene genießt und deswegen attraktiv ist. Das hat sicher auch mit dem NSU zu tun.
EFBI: Wie wirkt das Handeln des NSU bis heute nach?
Grunert: Nach der Selbstenttarnung wurde es ruhiger um die rechte Szene, was sicher auch an dem großen medialen und ermittlungsbehördlichen Fokus lag. Danach wurden extrem rechte Gruppen wieder sehr aktiv. Zu den Nachwirkungen zählt, dass immer noch Menschen in Zwickau aktiv sind, die in direktem Kontakt mit dem NSU-Trio standen. Man muss auch sagen, dass der NSU die Stadt bewusst gewählt hat, wegen des Klimas und der Strukturen, die ihnen zuträglich waren. Beides ist immer noch vorhanden.
EFBI: Wo liegen die Gefahren für Engagierte?
Grunert: Die Gefahren liegen für Menschen, die sich konkret engagieren, auf der Straße. Bei Demos, an Infoständen oder bei Kulturveranstaltungen muss man damit rechnen, Ziel eines Angriffs zu werden. Selbst wenn das gar nicht immer passiert, haben die Engagierten das stets im Hinterkopf. Das prägt Menschen und das spricht sich rum.
EFBI: Was kann man gegen rechte Netzwerke in Zwickau tun?
Grunert: Die höchste Priorität ist es, extrem Rechten zu zeigen, dass man auf sie schaut und dass sie sich nicht alles erlauben können. Das ist die Aufgabe des Staates, der Stadt und der Behörden. Sie müssen mit strafrechtlichen Konsequenzen dagegen vorgehen. Wenn nach einem Angriff nichts passiert, ist das für die Täter sehr ermutigend.
Weiterhin ist es sicherlich eine zivilgesellschaftliche Aufgabe, auch wenn die Stadt die Verantwortung oft auf die Zivilgesellschaft abschiebt. Aus meinen Gesprächen mit Engagierten und Betroffenen ist aber klar geworden, dass diese Gruppen vor allem Unterstützung brauchen. Damit meine ich personelle, finanzielle und strukturelle Unterstützung. Auch wünschen sich die Aktiven mehr Aufmerksamkeit, um zu zeigen, dass Zwickau auch eine andere Seite hat.
Und ich denke, es ist wichtig, Solidarität mit den Betroffenen zu zeigen. Das richtet sich auch an öffentliche Stellen, wie zum Beispiel die Oberbürgermeisterin. Es gibt auch viele Betroffene in der Stadtverwaltung, die Bedrohung durch Rechte erfahren. Es ist wichtig, dass sie sich nicht allein gelassen fühlen. Es braucht ein solidarisches Miteinander aller betroffenen Gruppen in Zwickau.
EFBI: Vielen Dank für das Gespräch!
Die Fragen stellte Pia Siemer.
Das vierte Policy Paper ist in Kooperation mit dem Chemnitzer Verein ASA-FF und Weiterdenken, dem sächsischen Teil der Heinrich Böll Stiftung, entstanden.
Foto: Tim Wagner