Der kurze Atem des AfD-TikTok-Erfolgs

von Gideon Wetzel und Johannes Kiess

Um systematisch zu untersuchen, wie politische Parteien in Deutschland auf TikTok agieren, haben wir Daten über die offizielle TikTok-Research-API gesammelt. Die API – kurz für Application Programming Interface, eine technische Schnittstelle zum TikTok-Server für Computer-Programme – ermöglicht den Abruf von Metadaten zu Videos, darunter Views, Likes, Shares, Hashtags und Kommentare. Zudem können Informationen zu Accounts, einschließlich ihrer Follower-Zahlen und ihres verifizierten Status, erfasst werden. Als Grundlage für unsere Datenauswahl haben wir die von Martin Fuchs gepflegte Liste von TikTok-Accounts deutscher Politiker*innen genutzt. Unser Untersuchungszeitraum erstreckt sich vom 1. Dezember 2024 bis zum 4. März 2025, also den Zeitraum vom Beginn des Wahlkampfs bis kurz nach der Wahl.

 

Likes und Follower

Unter den politischen Parteien Deutschlands gehört die AfD auf TikTok zu den early adoptern und war dort sehr präsent. Allerdings wurde der Erfolg der AfD auf der Plattform erst im Frühjahr 2024, nach dem Potsdamer Treffen und nach einem viralen TikTok des AfD-Politikers Krah („Echte Männer sind rechts“), kritisch diskutiert (Blumenthaler, 2024; Metzger, 2024; Pogner, 2024). Auch nach den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg ergaben Analysen eine hohe Sichtbarkeit der Partei auf TikTok (Verwiebe, 2024), welche sich ebenfalls zu Beginn des Bundestagswahlkampfes zeigte (MDR Aktuell, 2024). Um die TikTok-Dominanz der AfD zu überprüfen, analysierten wir die erfolgreichsten politischen Profile anhand von Likes und Followern. Die Ergebnisse zeigen: Die AfD war zwar early adopter und hat (noch) die meisten Follower, aber die Konkurrenz holt auf. Besonders Heidi Reichinnek (Die Linke) ragt heraus – sie liegt bei der Anzahl der Likes sogar auf Platz 1 (Abbildung 1) und bei den Followern auf Platz 2 (Abbildung 2). Auch das „Teambundeskanzler“-Profil von Olaf Scholz (SPD) zeigt, dass andere Parteien zunehmend Reichweite auf TikTok erzielen (können). Alice Weidel (AfD) bleibt zwar die meistgefolgte Politikerin, aber der Vorsprung schrumpft.

Abbildung 1: Top-10-Accounts nach Anzahl der Likes
Abbildung 2: Top-10-Accounts nach Anzahl der Follower

Ein weiterer wichtiger Aspekt für unsere Einschätzung ist die Gesamtreichweite der untersuchten Parteien. Abbildung 3 zeigt die Summe aller Views der Videos von parteizugehörigen Accounts im Untersuchungszeitraum. Auf der horizontalen x-Achse ist die Gesamtanzahl der Views aller Videos je Partei dargestellt, während die vertikale y-Achse die Anzahl der veröffentlichten Videos angibt. Die Größe der Datenpunkte entspricht der Anzahl der Follower aller parteizugehörigen Accounts. Dadurch lässt sich erkennen, welche Parteien besonders aktiv Inhalte veröffentlichen und welche Parteien mit vergleichsweise wenigen Videos hohe Reichweiten erzielen.

Abbildung 3: Erfolg der Parteien (Summe aller Views) auf TikTok 1.12.2024 - 14.03.2025

Zentral für die Interpretation der Grafik ist die Steigung der (vorgestellten) Verbindungslinie vom Diagramm-Ursprung zu den jeweiligen Datenpunkten. Je flacher die Linie, desto mehr Views generiert ein Video im Durchschnitt für eine Partei. Eine steilere Linie indiziert hingegen, dass eine Partei im Vergleich mehr Videos benötigt, um die gleiche Anzahl an Views zu erreichen. Die Analyse zeigt, dass FDP, CDU/CSU und Grüne tendenziell eine steilere Linie aufweisen, also ihre Videos vergleichsweise weniger Aufrufe erhalten. Im Gegensatz dazu bewegen sich AfD, SPD, Linke und BSW auf einer flacheren Linie, was auf eine höhere Anzahl an Views pro Video hindeutet. In unserer vor der Bundestagswahl erschienenen Analyse mit Daten bis Mitte Januar (Wetzel/Kiess, 2025) zeigte die FDP eine bessere Performance, während die SPD schwächer abschnitt. Die Visualisierung zeigt, dass die SPD die AfD knapp überholt hat und dies trotz geringerer Follower-Anzahl. Wir lesen dies als Hinweis darauf, dass Follower-Zahlen auf TikTok nicht unbedingt ausschlaggebend sind. Außerdem holten auch CDU/CSU und Grüne seit Mitte Januar stark auf. Die FDP blieb dagegen auf der Strecke und wurde von der Linken überholt.

Abbildung 4: TikTok mit den meisten Views und Likes im Wahlkampf – Christian Lindner und der Tortenwurf
Abbildung 5: TikTok mit den zweitmeisten Views und Likes im Wahlkampf – Olaf Scholz reagiert auf Influencer „Brooklyn“

Das erfolgreichste TikTok1 aller untersuchten Accounts während des Wahlkampfes entstand zum Tortenwurf (mrc/dpa, 2025) auf Christian Lindner und wurde von seinem eigenen Account hochgeladen (22.729.334 Views, 780.494 Likes). Die eigentlich gegen den Politiker gerichtete Aktion, konnte sein Social-Media-Team also in beeindruckender Weise zum eigenen Vorteil nutzen. Dies zeigt, dass auf TikTok die Regeln der Aufmerksamkeitsökonomie gelten – durch Selbstviktimisierung, schnelle Reaktion und ein wenig Selbstironie ließ sich in diesem Fall das Narrativ und damit die virale Dynamik kontrollieren. Ähnlich ist es beim zweiterfolgreichsten TikTok2: Olaf Scholz reagierte auf den TikTok-Influencer „Brooklyn“, welcher ihn aufforderte, die Preise zu senken3 (8.235.413 Views, 716.565 Likes). Dieses „Meme“ wurde von Team Olaf Scholz geschickt aufgegriffen und in zwei weiteren TikToks4 ähnlich erfolgreich platziert.

 

Gegenseitige Bezugnahmen der Parteien

Für die Reichweite und den Erfolg der Parteien auf TikTok ist auch relevant, wie oft und in welchem Kontext Parteien übereinander sprechen. Hierzu haben wir in dem von uns generierten Datensatz die Hashtags der Videos offizieller Partei-Accounts auf Referenzen zu anderen Parteien überprüft. Die Hashtags #noafd (negativ) und #afdwirkt (positiv) werden dabei beide als AfD-Bezug gewertet. Im ersten Fall wird der Hashtag meist von anderen Parteien negativ genutzt, im zweiten Fall als positiver Selbstbezug.

In Abbildung 6 sind die so ermittelten Interaktionen in Form einer Matrix dargestellt: Auf der vertikalen y-Achse sind die untersuchten Partei-Accounts aufgeführt. Auf der horizontalen x-Achse sind ebenfalls alle Parteien aufgelistet – hier jedoch als Bezug in den verwendeten Hashtags. Die Farbschattierungen innerhalb der Matrix sind logarithmisch skaliert und zeigen die Intensität der gegenseitigen Verweise.

Abbildung 6: Konfusionsmatrix wie Parteien auf TikTok übereinander referenzieren

Wir können mit diesem Ansatz recht klare Muster sichtbar machen: Zum einen verweisen Parteien sehr häufig auf sich selbst, was an der hellen Diagonale erkennbar ist. BSW, FDP und Grüne beziehen sich allerdings häufiger auf die CDU als auf sich selbst5. Zudem zeigt sich, dass vor allem das BSW sowie CSU und FDP von anderen Parteien weniger thematisiert werden (dunkle vertikale Linien) – mit Ausnahme von AfD und SPD, die sich verstärkt mit diesen Parteien auseinandersetzen. Die meisten Referenzen auf andere Parteien gibt es von AfD, CDU und SPD, was sich durch die hellen horizontalen Linien ausdrückt. BSW und Linke verweisen hingegen am wenigsten auf andere Parteien (dunkle horizontale Linien), das hängt aber auch mit der Gesamtmenge ihrer TikToks zusammen (siehe Abbildung 3 oben). Am meisten referenzieren sie AfD und CDU.

 

Schattenaccounts: Ein unsichtbares Netzwerk?

Nicht nur offizielle Partei-Accounts spielen im Wahlkampf auf TikTok eine wichtige Rolle. Eine große Zahl von Fan-Accounts ist ebenso festzustellen wie Kampagnen aus dem Umfeld der AfD. Inwieweit insbesondere russische Desinformationsstrategien hier eine Rolle spielen, können wir aus Platzgründen nicht gesondert thematisieren. Um die Dynamik auf der Plattform besser zu verstehen, haben wir in einem zweiten Untersuchungsschritt Accounts einbezogen, die politischen Content verbreiten, ohne offiziell einer Partei zuzuordnen zu sein. Um diesen Content systematisch zu analysieren, haben wir über die TikTok-API Daten zu Videos mit parteispezifischen Hashtags (Parteinamen, Namen der Spitzenkandidierenden) gesammelt, welche jedoch nicht von den bekannten parteinahen Accounts stammten. Es wurden nur TikToks berücksichtigt, die ausschließlich Hashtags zu nur einer Partei enthielten und darüber der Partei zugeordnet wurden. TikToks, die Hashtags mehrerer Parteien enthielten, oder Hashtags, die gegen die getaggte Partei waren (Negativ-Kampagnen, z.B. #noafd), wurden außen vor gelassen. Das schließt jedoch nicht TikToks aus, die zwar nur eine Partei getaggt (z.B. #afd) haben, aber dennoch inhaltlich gegen diese Partei gerichtet sind (false positives). Gleichzeitig fehlen TikToks, die für eine Partei sind, jedoch eine andere Partei thematisieren und deshalb diese ebenso taggen (false negatives). Wir haben uns jedoch für diese Aufteilung entschieden, da wir eine große Menge an TikToks feststellen konnten, die mehrere Parteien getaggt hatten, vermutlich auch mit dem Ziel in die Feeds der Sympathisantinnen vorzudringen (hashtag-hijacking). Die Vorgehensweise erfasst also nicht alle Fan-TikToks, jedoch eine repräsentative Menge, die Vergleiche unter den Parteien zulässt.

Abbildung 7: Anzahl von TikToks nicht parteizugehöriger Accounts mit Bezug auf die jeweiligen Parteien im Zeitverlauf
Abbildung 8: Anzahl von TikToks nicht parteizugehöriger Accounts, OHNE AfD, mit Bezug auf die jeweiligen Parteien im Zeitverlauf

Die Ergebnisse sind eindeutig: Seit Ende Dezember erschienen täglich zwischen 500 und 2.000 TikToks, am Wahltag über 3.000 TikToks mit Bezug zur AfD. Der Höchstwert liegt damit bei etwa dem vierfachen des höchsten Werts für die Linkspartei (ca. 700 Videos am Wahltag). Der Content dieser TikToks ist oft sehr einfach gehalten und besteht überwiegend aus Standbildern mit AfD-Werbung, unterlegt mit Effekten, Sounds und zahlreichen pro-AfD-Hashtags. Als Rohmaterial dienen hierbei oftmals Screenshots von Presse-Schlagzeilen sowie Auszüge aus öffentlichen Reden, Bundestagsreden oder Talk-Shows. Es bleibt die Frage, ob solche Videos automatisiert generiert werden. Selbst wenn nicht, würden 200 Personen genügen, um durch zehn Videos pro Tag diese Menge zu erreichen. Die rein quantitative Dominanz ist also in jedem Fall mit relativ geringen Mitteln erreichbar. Auffällig ist jedoch, dass das Aufkommen dieser Inhalte nach der Wahl abrupt einbricht. Diese enorme Menge an AfD-bezogenen Videos überdeckt die Sichtbarkeit anderer Parteien in der Darstellung (Abbildung 7. Abbildung 8 zeigt deshalb dieselben Daten noch einmal ohne AfD-Content. Für beide Abbildungen lassen sich den Peaks mediale Anlässe zuordnen.

Zurückzuführen ist die enorme Anzahl an AfD-nahen TikToks vermutlich auf die bereits im Sommer 2024 aufgedeckte Kampagne „TikTok-Guerilla“ (Scherndl/Nicolaus, 2024). AfD-Sympathisant*innen wurden vor den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen aufgefordert, massenhaft TikTok-Content zu erstellen. In einem Telegram-Kanal wurde dafür das nötige Rohmaterial hochgeladen und in Video-Tutorials erklärt, wie man dieses mit CapCut möglichst so abändert, dass die TikToks vom Algorithmus nicht als Duplikate erkannt und gelöscht werden6. Bis zu 2.000 Mitglieder hatte dieser Kanal während der Landtagswahlen. Für die Bundestagswahl war der Kanal aber nicht mehr relevant, die AfD hatte sich von dessen Betreiber losgesagt (Sand, 2024). Es mutet jedoch an, dass das Konzept weiterhin Verwendung findet.

Ein Großteil der von uns über einschlägige Hashtags identifizierten Fan-Accounts erweckt in einer Stichprobenprüfung den Eindruck eines regulären Accounts. Allerdings fallen auch Accounts mit generischen Inhalten auf (Suckow, 2025), diese haben oft Zeichenketten wie „afd“, „deutschland“, „patriot“ oder „national“ in verschiedenen Variationen mit Ziffern oder Sonderzeichen in ihrem Profilnamen. Viele davon sind auch nach kurzer Zeit nicht mehr abrufbar, da sie von TikTok gelöscht wurden. In unserem gesicherten Datensatz können wir bezüglich der Inhalte jedenfalls bei verschiedenen Fan-Accounts Duplikate feststellen (siehe Abbildung 9 und 10).

Abbildung 9: Beispiel 1 „Fan-Account“ mit einfach erstellten Inhalten
Abbildung 10: Beispiel 2 „Fan-Account“ mit teilweise den gleichen Inhalten wie in Beispiel 1

Da die Inhalte nicht nur visuell, sondern multimodal wirken, haben wir die Videos der AfD-Fan-Accounts dahingehend untersucht, ob sie dieselben Sounds verwenden. Die zehn am häufigsten verwendeten Sounds geben wie vermutet Aufschluss über eine weitere Dimension des TikTok-Wahlkampfes. Mindestens sechs dieser Sounds wurden mithilfe von KI-Tools erstellt. Spitzenreiter war mit 1.515 TikToks eine treibende elektronische Hymne, die textlich mit der Zeile „Wir sind die AfD, wir steh’n bereit, für Tradition und Kultur“ einsetzt. Darauf folgt mit 1.166 TikToks eine Abwandlung des Chart-Hits „Bla Bla Bla“ von Gigi D’Agostino, jedoch mit dem geänderten Refrain „Nur die A-f-D, Deutschland braucht die AfD“. Daneben findet sich etwa eine Rockballade mit dem Titel „Deutschland wach endlich auf“ bei 450 der untersuchten TikToks und ein KI-Lied im Stil der Kelly-Family besingt bei 333 TikToks einen aufkommenden Aufstand. Auch Schlager werden bedient mit den Textzeilen „Wir brauchen die A-f-D. Olé Olé“ (325 TikToks) und „Ei Ei Ei, wen haben wir da? die Altparteien und ihr bla bla bla“ (322 TikToks). Der Sound auf Platz 10 besteht aus Auszügen einer Höcke-Rede auf einem TikTok-typischen Phonk-Beat. Lediglich zwei Sounds dieser „Top-10“ waren unpolitischer Natur und kommen in der Form auch in den regulären TikTok-Trends vor. Ein Lied war zum Zeitpunkt der Untersuchung bereits gesperrt.

KI-Tools ermöglichen Produktionen mit einem sehr geringen Budget. Die Botschaften lassen sich dadurch massenhaft in verschiedenen Musik-Genres verpacken. Eingängige Refrains verbleiben als Ohrwurm und wirken nach. Musik als Träger von extrem rechten politischen Inhalten ist an sich nichts neues; Rechtsrock wurde bereits in den 1990er Jahren als „Einstiegsdroge“ in die Szene betitelt (Baumgärtner, 2024). Jedoch sinkt der Aufwand ihrer Erstellung durch den Einsatz von KI – und poppige Hymnen sowie Adaptionen in verschiedenen Stilen sprechen deutlich mehr Leute an. Musik kann auch eine wichtige Einkommensquelle für die extreme Rechte sein. Viele der verwendeten KI-Lieder finden sich auf Plattformen wie Apple Music oder Amazon Music wieder, wo sie zusätzlich Verbreitung finden und zumindest potenziell monetarisierbar sind.

Während unserer Untersuchung fiel außerdem auf, dass viele AfD-Fanseiten plötzlich aus der TikTok-API verschwanden. TikTok scheint hier aktiv zu werden und zum Beispiel Fake-Accounts zu löschen oder auch gegen wiederholte Verstöße vorzugehen. Welche Policy umgesetzt und wie strikt sie verfolgt wird, ist unklar. Dennoch ist davon auszugehen, dass der Algorithmus durch eine derart starke Flutung von ähnlichen Inhalten diesen eine höhere Relevanz beimisst. Während es bei Ereignissen wie z.B. einem großen Unglück, über das viele unabhängige Accounts berichten, grundsätzlich wünschenswert ist, dass der Algorithmus den Nachrichtenwert von Meldungen erkennt und diese in die Feeds der User spült, machen sich die AfD-Fan-Accounts diesen Mechanismus zunutze. Die Influencerin Laura Melina Berling stellte in einem Selbstversuch7 fest, dass TikTok bestimmten Nutzer*innen verstärkt AfD-freundliche Inhalte vorschlägt. Sie gab sich mit einem Fake-Account als Mann aus, der Algorithmus spielte ihr dann umgehend AfD-Content zu. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass diese Art von Inhalten vom Algorithmus als „relevant“ eingestuft werden und zwar insbesondere für bestimmte Bevölkerungsgruppen.

 

Kommentaranalyse: Wie reagieren die Nutzenden?

TikTok ist stark auf das „Engagement“ der User ausgerichtet. Während die Viewzahlen auch stark von unbewussten bzw. nur teilweise bewussten Sehgewohnheiten bedingt sind, können User den ihnen angezeigten Content der Parteien kommentieren. Die erfolgreichsten TikToks der untersuchten Parteien zeigen Kommentarzahlen im fünfstelligen Bereich. Um diese zu untersuchen, haben wir alle Kommentare unter den Videos der offiziellen Partei-Accounts automatisiert ausgewertet. Mit einer sogenannten Sentiment-Analyse lassen sich Inhalte relativ einfach in negativ, neutral und positiv einteilen (Abbildung 11). Die Sentiment-Analyse bzw. Stimmungserkennung deutet aus Texten positive, neutrale oder negative Haltungen. Dazu wurde ein Modell mit sehr vielen Texten trainiert, bei denen die Haltung bekannt war. Das Modell leitet von den Trainingsdaten die Haltung bei unbekannten Texten ab. Das verwendete Modell lag in Tests bei 87 Prozent der unbekannten Texte richtig. Es gibt also falsche Zuweisungen (false positives/false negatives) auch in unserer Untersuchung. Für einen Vergleich unter den Parteien erhält man dennoch einen guten Eindruck.

Abbildung 11: Sentiment-Analyse der Kommentare unter TikToks von Partei-Accounts

Die meisten Kommentare entfielen auf Videos der AfD, wobei über die Hälfte der Reaktionen positiv eingeordnet wurde und nur etwa ein Drittel negativ. Die zweitmeisten Kommentare entfielen auf die SPD – hier war allerdings fast die Hälfte negativ konnotiert. Ähnlich sieht es bei den Grünen und der FDP aus, wo die Sentiment-Analyse ebenfalls etwa 50 Prozent der Kommentare als negativ einordnete. Bei der CDU/CSU sind sogar fast zwei Drittel der Kommentare negativ. Leider erlaubt es die TikTok-API nicht, die Accounts hinter den Kommentaren nachzuvollziehen, sodass unklar bleibt, ob hier gezielte Kampagnen gegen bzw. für die jeweiligen Parteien Stimmung machen.­

Die meisten Kommentare reagieren zustimmend oder ablehnend zum TikTok-Inhalt, hierbei kommen überwiegend verschiedene Kombinationen von Emojis zur Verwendung. Insbesondere blaue Herzen, als Ausdruck von AfD-Sympathie dominieren die Kommentarspalten. Auffällig sind auch die ASCII-Art Banner, die hauptsächlich bei AfD und Linke vorkommen. Diese Art der Kommunikation ist aktuell schwer durch maschinelle Verfahren zu erfassen. Kommentare spielen bei TikTok jedenfalls eine große Rolle und tragen vermutlich stark zur Viralität eines TikToks bei. Dabei ist es zunächst unerheblich, ob die Kommentare zustimmend oder ablehnend sind. Gerade besonders kontroverse TikToks erzielen große Popularität.

 

Grenzen der Untersuchung und Fazit: Kein Monopol der AfD, aber fragwürdige Strukturen

Unsere Untersuchung unterliegt mehreren methodischen Einschränkungen. Da die TikTok-API den täglichen Datenabruf limitiert, mussten wir die Erhebung über mehrere Wochen verteilen, wodurch zeitliche Verschiebungen bei Likes, Views und Shares unvermeidlich sind. Auch das regelmäßige Löschen von Accounts durch TikTok kann zu Verzerrungen führen. Zudem fehlen Verknüpfungsmöglichkeiten zwischen Kommentaren und Nutzeraccounts, was tiefere Netzwerkanalysen erschwert. Darüber hinaus gibt die API keinen Einblick in den kuratierenden Algorithmus, sodass unklar bleibt, wie TikTok politische Inhalte priorisiert oder filtert. Diese Intransparenz erschwert die Bewertung, ob und in welchem Umfang bestimmte Parteien bevorzugt oder benachteiligt werden. Um fundiertere Analysen politischer Kommunikation zu ermöglichen, braucht es besseren Zugang zu Plattformdaten. Der Digital Services Act (DSA) setzt zwar erhöhte Transparenzanforderungen für große Plattformen, doch bleibt abzuwarten, ob dies eine umfassendere Offenlegung relevanter Daten bewirken wird.

Unsere Analyse zeigt dennoch, dass die AfD auf TikTok nicht mehr dominiert. Andere Parteien, insbesondere SPD und Linke, holen deutlich auf. Das Narrativ vieler Medien, die AfD sei die unangefochtene TikTok-Partei, lässt sich deshalb so nicht mehr halten. Doch digitale Plattformen bleiben besonders für extrem rechte Mobilisierung attraktiv. Denn die Masse nicht-offizieller Accounts, die pro-AfD-Content verbreiten, wirft Fragen auf. Es gibt Hinweise auf koordinierte Kampagnen. Die Gefahr gezielter Desinformationskampagnen, wie sie im rumänischen Präsidentschaftswahlkampf 2024 bereits sichtbar wurden, sollte nicht unterschätzt werden. Hier ist TikTok in der Pflicht, Manipulationsversuche frühzeitig zu unterbinden und das eigene Vorgehen transparent zu machen. Um dies sicherzustellen, müssen digitale Plattformen noch stärker reguliert werden, um deren Macht einzuschränken, ihre Monopolstellung aufzubrechen und die Intransparenz der Algorithmen zu mindern.

 

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