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ELSE-FRENKEL-BRUNSWIK-INSTITUT für Demokratieforschung in Sachsen
Universität Leipzig
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Projekt in Sachsen
Handlungsfähigkeit (wieder)entdecken: Arbeitskämpfe, lokale demokratische Kultur und Strukturwandel in Sachsen
Das von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Forschungsprojekt „Handlungsfähigkeit (wieder)entdecken: Arbeitskämpfe, lokale demokratische Kultur und Strukturwandel in Sachsen“ untersucht die Bedeutung von betrieblichen Organisierungen und Arbeitskämpfen für die sächsische Demokratie.
Seit einigen Jahren ist eine bemerkenswerte Welle von Organisierungen und Arbeitskämpfen in ostdeutschen Betrieben zu beobachten. Schwerpunkte bilden in Sachsen Betriebe der Nahrungs- und Genussmittelindustrie, der Metallindustrie und im Dienstleistungsbereich. Berichtet wird, wie die Beteiligten Selbstwirksamkeit und praktische Demokratie erfahren – in einer Arbeitswelt, die zuvor politisch aufgegeben schien. Die EFBI-Forschenden untersuchen das neue ostdeutsche Aufbegehren, das sich in der Streikbewegung artikuliert. Was motiviert die kämpfenden Beschäftigten und welche Erfahrungen machen sie? Entwickeln sich politische Perspektiven und zivilgesellschaftliche Allianzen, die über den Betrieb hinaus von Bedeutung sind? Wie wird mit anti-demokratischen Kräften umgegangen? Welche Rolle spielen Transformationserfahrungen in den Mobilisierungen?
Wechselwirkungen von politischer Kultur und Politik im Betrieb
Anhand von ausgewählten Arbeitskämpfen in Sachsen untersucht die Studie, was den besonderen politischen Charakter dieser Kämpfe ausmacht, wie lokale politische Kultur und Politik im Betrieb ineinandergreifen und inwiefern die Organisierung über den Betrieb hinaus sozialisierend und demokratisierend wirken kann. Zudem fragen wir nach der Bedeutung von Transformation als Erfahrung und politischer Herausforderung: Die Auseinandersetzungen in Sachsen entzünden sich häufig an der West-Ost-Ungleichheit bei Löhnen und Arbeitszeiten. Mit der „Lohnmauer“ (Auseinandersetzungen in der Nahrungs- und Genussmittelbranche, z.B. bei Teigwaren Riesa) oder der „Zeitmauer“ (Auseinandersetzung um die 35-Stunden-Woche im Organisationsbereich der IG Metall) werden auch die Anerkennung und Identität der ostdeutschen Beschäftigten verhandelt, die sich jahrzehntelang als vernachlässigte „Beschäftigte zweiter Klasse“ fühlten. Politisch artikuliert sich das ostdeutsche Unbehagen bisher überwiegend rechts oder in Form eines politischen Nihilismus.
Erfahrungen der Beschäftigten im Fokus
Die arbeitsweltlichen Mobilisierungen und ihre Wirkungen untersuchen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit einer qualitativen Studie, die ethnografische Beobachtungen, Gruppendiskussionen, Experteninterviews und biografische Interviews kombiniert. Sie rekonstruieren Ermöglichungsbedingungen, Charakter und Wirkung der Kämpfe anhand von Tiefenuntersuchungen sächsischer Arbeitskämpfe, bei denen Wechselwirkungen zwischen betrieblicher Mobilisierung und lokaler politischer Kultur sichtbar werden. Ausgangspunkt der sinnverstehenden Analyse bilden die Erfahrungen der Beteiligten. Damit zielt die Forschung auf die Einbindung der betrieblich Aktiven, der Gewerkschaften sowie zivilgesellschaftlicher Initiativen. Das Projekt soll angesichts der beschriebenen politischen Verwerfungen Impulse für die gewerkschaftliche und zivilgesellschaftliche Praxis bieten.
Wie weite Teile der ostdeutschen Bevölkerung ihre Stimmen und Interessen in die Gestaltung politischer Prozesse einbringen und welche Rolle gewerkschaftliche und betriebliche Akteure dabei einnehmen, sind insbesondere angesichts fortschreitender gesellschaftlicher Transformationsprozesse zentrale Fragen für die demokratische Kultur in Ostdeutschland.
Publikationen aus dem Projekt
Kiess & A. Schmidt (accepted): The political spillover of workplace democratization.
How democratic efficacy at the workplace contributes to countering right-wing extremist attitudes in Germany. Economic and Industrial Democracy. (2024: 1.5).
Schmidt, S. Bose & J. Kiess (2024): Zwischen Fatalismus und Selbstbehauptung. Facetten des Deprivationserlebens von Arbeiterinnen und Arbeitern in Sachsen. In: O. Decker, F. Kalkstein, J. Kiess & P. Kocyba (Hrsg.): Demokratie in Sachsen. Jahrbuch des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts für 2023, 131-153. Leipzig: Edition überland.
Kiess, A. Wessel-Saalfrank, S. Bose, A. Schmidt, E. Brähler & O. Decker (2023): Arbeitswelt und Demokratie in Ostdeutschland. Erlebte Handlungsfähigkeit im Betrieb und (anti)demokratische Einstellungen. OBS-Arbeitspapier 64. Frankfurt a.M.: Otto-Brenner-Stiftung.
Bose & A. Schmidt (2023): „Aufbruch Ost“ in der Arbeitswelt?. Perspektiven sächsischer Gewerkschafter auf die demokratiepolitische Bedeutung arbeitsweltlicher Mobilisierungen. In: O. Decker, F. Kalkstein & J. Kiess (Hrsg.): Demokratie in Sachsen. Jahrbuch des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts für 2022, 273-291 . Leipzig: Edition überland.
Bose & J. Kiess (2023): Autoritarismus und Arbeitsgesellschaft im Wandel. In: M. Seeliger (Hrsg.): Strukturwandel der Arbeitsgesellschaft, 306-327. Weinheim: Beltz Juventa.
Bose (2023): Länderstudie Deutschland, in: R. Hoffmann/M. Meinardus (Hrsg.): Gewerkschaften und Rechtspopulismus in Europa, 76-105. Bonn: Friedrich-Ebert-Stiftung. Auch online unter: https://library.fes.de/pdf-files/international/20001-20230203.pdf