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ELSE-FRENKEL-BRUNSWIK-INSTITUT für Demokratieforschung in Sachsen

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Projekt in Sachsen

Handlungsfähigkeit (wieder)entdecken: Arbeitskämpfe, lokale demokratische Kultur und Strukturwandel in Sachsen

Die Beschäftigten von Teigwaren Riesa und ihre Gewerkschaft NGG streikten im November 2022 vor dem Brandenburger Tor in Berlin. Foto: Alireza Khalili/NGG

Das von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Forschungsprojekt „Handlungsfähigkeit (wieder)entdecken: Arbeitskämpfe, lokale demokratische Kultur und Strukturwandel in Sachsen“ untersucht die Bedeutung von betrieblichen Organisierungen und Arbeitskämpfen für die sächsische Demokratie.

Seit einigen Jahren ist eine bemerkenswerte Welle von Organisierungen und Arbeitskämpfen in ostdeutschen Betrieben zu beobachten. Schwerpunkte bilden in Sachsen Betriebe der Nahrungs- und Genussmittelindustrie, der Metallindustrie und im Dienstleistungsbereich. Berichtet wird, wie die Be­teiligten Selbstwirk­samkeit und praktische Demokratie erfahren – in einer Arbeitswelt, die zuvor politisch aufgegeben schien. Die EFBI-Forschenden untersuchen das neue ostdeutsche Aufbegehren, das sich in der Streikbewegung artikuliert. Was motiviert die kämpfenden Beschäftigten und welche Erfahrungen machen sie? Entwickeln sich politische Perspektiven und zivilgesellschaftliche Allianzen, die über den Betrieb hinaus von Bedeutung sind? Wie wird mit anti-demokratischen Kräften umgegangen? Welche Rolle spielen Transformationserfahrungen in den Mobilisierungen?

Wechselwirkungen von politischer Kultur und Politik im Betrieb

Anhand von ausgewählten Arbeitskämpfen in Sachsen untersucht die Studie, was den besonderen politischen Charakter dieser Kämpfe ausmacht, wie lokale politische Kultur und Politik im Betrieb ineinandergreifen und inwiefern die Organisierung über den Betrieb hinaus sozialisierend und demokrati­sierend wirken kann. Zudem fragen wir nach der Bedeutung von Transformation als Erfahrung und politischer Herausforde­rung: Die Ausei­nan­der­setzungen in Sachsen entzünden sich häufig an der West-Ost-Ungleichheit bei Löhnen und Arbeitszeiten. Mit der „Lohnmauer“ (Auseinandersetzungen in der Nahrungs- und Genussmittelbranche, z.B. bei Teigwaren Riesa) oder der „Zeitmauer“ (Auseinandersetzung um die 35-Stunden-Woche im Organisationsbereich der IG Metall) werden auch die Anerkennung und Identität der ostdeutschen Beschäftigten verhandelt, die sich jahrzehntelang als vernachlässigte „Beschäftigte zweiter Klasse“ fühlten. Politisch artikuliert sich das ostdeutsche Unbehagen bisher über­wiegend rechts oder in Form eines politischen Nihilismus.

Erfahrungen der Beschäftigten im Fokus

Die arbeitsweltlichen Mobilisierungen und ihre Wirkungen untersuchen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit einer qualitativen Studie, die ethnografische Beobachtungen, Gruppendiskussionen, Experteninterviews und biografische Interviews kombiniert. Sie rekonstruieren Ermöglichungsbedingungen, Cha­rak­ter und Wirkung der Kämpfe anhand von Tiefenuntersuch­ungen sächsischer Arbeitskämpfe, bei denen Wechselwirkungen zwischen betrieblicher Mobilisierung und lokaler politischer Kultur sichtbar werden. Ausgangspunkt der sinnverstehenden Analyse bilden die Erfah­rungen der Beteiligten. Damit zielt die Forschung auf die Einbindung der betrieblich Aktiven, der Gewerkschaften sowie zivilgesellschaftlicher Initiativen. Das Projekt soll angesichts der beschriebenen politischen Verwerfungen Im­pulse für die gewerkschaftliche und zivilgesellschaftliche Praxis bieten.

Wie weite Teile der ostdeutschen Bevölkerung ihre Stimmen und Interes­sen in die Gestal­tung politischer Prozesse einbringen und welche Rolle gewerk­schaftliche und betriebliche Akteure dabei einnehmen, sind ins­besondere angesichts fortschreitender gesellschaftlicher Transformations­prozesse zentrale Fra­gen für die demokratische Kultur in Ostdeutschland.